Zirkuläre Wertschöpfung als Exportschlager
Der Industrie ist im Wandel: Sie muss jetzt unweigerlich den Übergang von der linearen zur zirkulären Wertschöpfung schaffen. Dr.-Ing. Hans-Jürgen Schäfer, Geschäftsführer der VDI-Gesellschaft Materials Engineering, erklärt wie das am besten gelingt und welches enorme Wachstumspotenzial der Umstieg auf die Kreislaufwirtschaft bietet.
Trotz steigender Recyclingquoten und eines wachsenden Bewusstseins für die Wiederverwendung von Rohstoffen, steht in der deutschen Industrie noch überwiegend die lineare Wertschöpfung und Wegwerfen klar vor Re-Use. Wann wird sich das ändern?
Wenn Rohstoffe so knapp und teuer sind, dass es sich keiner mehr leisten kann, sie achtlos wegzuwerfen, und wenn die Konsumenten nur noch nachhaltig erzeugte Produkte akzeptieren. Wir haben über einen langen Zeitraum hinweg Produkte möglichst gewinnbringend, einfach und kostengünstig hergestellt und vermarktet und sie auch so konsumiert. Das hat lange wirtschaftlich sehr gut funktioniert, doch jetzt zeigt uns die Natur die Grenzen auf.
Das Thema Nachhaltigkeit kam aber bereits in den 1970er Jahren auf. Wieso handeln wir erst jetzt?
Die Einsicht in die Notwendigkeit, nachhaltig zu wirtschaften, ist enorm gestiegen durch die drastischen Bilder der Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll. Dennoch ist zu sagen: So richtig sind wir auf den Circular-Economy-Zug noch nicht aufgesprungen. Wir legen Kunststoffe in Deutschland zwar nicht mehr auf Halde, doch verbrennen wir mehr als die Hälfte der Plastikabfälle. Durch die hohe CO2-Belastung ergibt sich keine gute Umweltbilanz. Zirkuläres Denken sieht anders aus.
Welche Vorteile hätte es denn für die Industrie, wenn sie genau das tun würde?
Schon allein aus Kostengründen muss ich mir in Zeiten einer wachsenden CO2-Bepreisung über die Kreislauffähigkeit, sprich Zirkularität meiner Produkte, intensiv Gedanken machen. Die Einführung einer Circular Economy wird jetzt unweigerlich zum Wettbewerbsfaktor. Die Verwendung von Sekundärrohstoffen in der Herstellung von Glas, Papier, Kunststoff und Metall kann den Energiebedarf um bis zu 50 % gegenüber der Herstellung aus Primärrohstoffen senken. Nach Studienlage ist die Umstellung auf die Zirkuläre Wertschöpfung immer auch eine lohnende Investition.
Wo sehen Sie die größten Hebel für die Automatisierungstechnik als Enabler, um den Umstieg zur zirkulären Wertschöpfung bestmöglich zu beschleunigen?
Rein technisch können wir heutige Produkte zwar oftmals sortenrein zerlegen, aber wir können es uns wirtschaftlich und ökonomisch nicht leisten.
Daher sind in der Automatisierungstechnik die intelligenten Systeme in Zukunft die großen Enabler. Gerade beim Recycling der Produkte kann die Automatisierungstechnik ungeahnte Dienste leisten – etwa bei den Materialgemischen. Wir brauchen hier eine Robotik, die mit intelligenten, hochentwickelten und sicher arbeitenden Sensorsystemen die Stoffe, die wir recyceln möchten, in einzelne Stoffe zerteilt. Das Erkennen der Einzelteile ist das große Problem, das wir derzeit noch nicht wirklich gut automatisiert beherrschen. Wir erledigen solche anspruchsvollen Aufgaben dann noch immer sehr teuer per Handarbeit. Hier schlummert noch enormes Potenzial für die Automatisierer.
Wo wird der Einsatz von hochvernetzter Industrie-4.0-Technik im Recycling und in der Logistik von Stoffkreisläufen sich zuerst rechnen und wirtschaftlich sein?
Wir müssen uns von einer Abfallentsorgungswirtschaft auf eine Sekundärrohstoff-Wirtschaft umstellen. Entscheidender Motor für diese Umstellung wird die Einführung hochvernetzter KI-basierter Automatisierungstechnik und Robotik sein. Ich bin der festen Überzeugung, das wird eine ganz neue Qualität vor allem in der Rohstofftrennung, -Sortierung und -Aufbereitung mit sich bringen.
Wie kann die zirkuläre Wirtschaft im Verbund mit Umweltschutztechnik, Green Automation und nachhaltiger Energiewirtschaft die Wirtschaft ankurbeln? Ist ein „Sustainable-Label“ Made in Germany denkbar?
Ich finde, die deutsche Wirtschaft ist ein globales Vorbild. Der Umstieg auf eine zirkuläre Wertschöpfung wird die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sichern und viele, viele Arbeitsplätze erhalten und neu schaffen. Wenn es uns in Deutschland gelingt, Stoffkreisläufe mit hoher Zirkularität zu etablieren, können diese Modelle auch in andere Länder exportieren und ein neues „Made in Germany“ als Sustainable Label etablieren. Also lautet mein Appell an die Automatisierer: Packt mit an! Die Zirkuläre Wertschöpfung hat das Zeug zum Exportschlager. Sie ist auch für euch die Riesenchance für einen völlig neuen Wachstumsmarkt.
Das Interview mit Hans-Jürgen Schäfer führte Jürgen Franke, Geschäftsführer der Vulkan-Verlag GmbH.
Die Langfassung des Artikels ist im atp Magazin, Ausgabe 10/2021, erschienen. Jetzt in voller Länge lesen, auf MeinVDI.
Ansprechpartner im VDI:
Dr.-Ing. Hans-Jürgen Schäfer
VDI-Gesellschaft Materials Engineering
E-Mail-Adresse: schaefer@vdi.de