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Klimawandel in Deutschland

"Wir hätten einen Lockdown in den 90ern gebraucht"

Bild: Guenter Albers/Shutterstock.com

Die globale Erwärmung ist in vollem Gange, doch wie konkret spüren wir diesen Wandel bereits in Deutschland? Dazu gibt Prof. Dr. Thomas Foken von der Universität Bayreuth seine Einschätzung. Foken forscht im Bereich der Mikrometeorologie sehr lokal und stellt dabei bedrohliche Auswirkungen fest.

VDI: Inwieweit ist die globale Erwärmung schon jetzt konkret spürbar?

Foken: Die globale Erwärmung ist eine Maßzahl und beträgt im Moment etwa 1,3 Grad, wobei sich die 70 % Meeresanteil weniger als die 30 % Landanteil erwärmt haben. Das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens orientiert sich an diesen Werten, die eher eine politische Richtschwelle sind als ein für den Einzelnen relevanter Bezugswert. Besonders hoch sind die Temperaturzunahmen in den mittleren und speziell hohen Breiten der Nordhalbkugel, sie betragen für Deutschland gegenwärtig 1,7 Grad, in einigen Gebieten sogar bis 2,0 Grad. Auch die 1,7 Grad sagen noch wenig aus, denn es ist exakt der Temperaturunterschied zwischen dem kühleren Nürnberg und dem milderen Koblenz und in beiden Orten kann man durchaus gut leben. Man muss dann schon eher fragen, ob sich durch diese Temperaturerhöhung Extrem- oder Schwellwerte verändert haben, die auf unser tägliches Leben Einfluss haben oder sogar Belastungsgrenzen überschritten werden, die dann eventuell sogar irreversibel sind.

Wintersport in Mittelgebirgen bald nicht mehr möglich

VDI: Was haben Ihre Forschungen in Deutschland ergeben?

Foken: Meine Forschungen zum Klimawandel haben einen sehr lokalen Bezug auf Nordbayern mit Schwerpunkt Oberfranken. Für Aussagen zum Weltklima und Deutschland als Ganzes sind eher meine Kolleg*innen am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg und am Potsdam Institut für Klimafolgeforschungen prädestiniert. Somit beziehe ich mich auf Beispiele aus meinem Untersuchungsgebiet.

Die Lufttemperatur nimmt in Deutschland aus physikalischen Gründen um 0,6 Grad pro 100 m Höhenzunahme ab. Bei einer Erwärmung von ca. 1,7 Grad bedeutet dies, dass Temperaturen, die früher in einer Höhenlage von ca. 200 m auftraten, heute für Höhenlagen um 500 m typisch sind. Das hat gravierende Folgen für die Schneesicherheit: In Bamberg (240 m über NHN) ist die Zahl der Tage mit einer Schneedecke von 1 cm und höher in den letzten 60 Jahren von 60 auf 15 gefallen. Damit wird das Schlittenfahren für Kinder schon zu einem singulären Ereignis. Ähnlich drastisch sieht es in den Mittelgebirgen aus. Im Fichtelgebirge auf 650 m Höhe ist die Zahl der Tage mit einer Schneedecke von 15 cm und höher von 80 auf 40 Tage gesunken. Während man vor 60 Jahren noch eine Schneesicherheit in Höhenlagen von 500 bis 600 m hatte, trifft man diese heute erst in 900 bis 1000 m an, wobei die höchste Erhebung des Fichtelgebirges 1050 m hoch ist. Vor fast 20 Jahren haben wir die Bürgermeister des Fichtelgebirges auf diese dramatische Entwicklung hingewiesen, aber nur wenige haben das Tourismuskonzept ihres Ortes umgestellt und sich nicht mehr ausschließlich auf den Wintersport konzentriert. Das hat dramatische Folgen für den Tourismus einer ganzen Region. Hier ist ein solcher Kipppunkt erreicht, das heißt deutsche Mittelgebirge (zurzeit noch außer den hohen Lagen des Erzgebirges, des Bayerischen Waldes und des Schwarzwaldes) sind keine Wintersportregionen mehr und erlauben Wintersport nur noch in kurzen kälteren Perioden.  

Ein weiteres Beispiel ist die zunehmende Trockenheit, insbesondere die Trockenheit im Frühjahr. So sind die Niederschläge im April in Bamberg in den letzten 60 Jahren um 28 % zurückgegangen. Dies wurde meist durch erhöhte Sommerniederschläge bei einzelnen Starkniederschlagsereignissen kompensiert. Es ist aber nicht so stark fehlender Niederschlag, der die Trockenheit verursacht, sondern erhöhtes Verdunstungsvermögen, da wärmere Luft mehr Wasser aufnehmen kann und häufiger bei uns einfließende Luftmassen aus östlichen Richtungen besonders trocken sind. Trocknet der Boden zu weit aus, versiegt der Wasserfluss zum Grundwasser, was in den letzten beiden Jahren in weiten Gebieten zu einem Sterben auch großer Bäume führte. 

Zahl der Hitzetoten steigt

VDI: Es gibt immer mehr heiße Sommermonate. Welche Folge hat das für unsere Gesundheit?

Foken: Zu heiße Sommermonate sind wahrscheinlich im Moment die größte Gefahr in Deutschland, insbesondere in den Städten. So hat in Bamberg in den letzten 60 Jahren die Zahl der Tage mit einem Maximum der Lufttemperatur von 25 °C und mehr von 40 auf 60 Tage zugenommen. Noch dramatischer ist die Zunahme bei noch wärmeren Tagen, das heißt bei 30°C und höher stieg die Zahl von 5 auf 15 Tage. 1983 wurde erstmals ein Wert von 35°C erreicht. In Bamberg gab es 2003 und 2015 schon jeweils 8 bzw. 9 derartige Tage.

Während man im Winter durch entsprechende Bekleidung seine Temperatur regulieren kann, sind dem im Sommer Grenzen gesetzt und der Körper muss seine Temperaturen selbst regulieren. Das führt zu Hitzestress, für den der VDI eine eigene Richtlinie herausgegeben hat (VDI 3787 Blatt 2). Nicht alle Menschen sind mehr in der Lage sich den heißen Temperaturen anzupassen – oft mit Todesfolge. Das Statistische Bundesamt gibt für 2020 einen Wert von 4237 Hitzetoten an. In der Woche vom 10. bis 16. August 2020 waren es allein 3192 Tote. Dies waren in dieser Woche 150 Tote mehr als Verkehrstote im ganzen Jahr 2019 und doppelt so viele Tote wie Covid-19 Tote zum Höhepunkt im April dieses Jahres. Die entsprechende Pressemitteilung vom 09.10.2020 wurde offensichtlich in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Auch gab es bislang keine Handlungsstrategie in der Politik, obwohl wir seit dem Hitzesommer 2003 fast jedes Jahr mehrere Tausend Hitzetote beklagen müssen.

In den 1990er-Jahren gab es noch eine Chance, irreversible Veränderungen zu vermeiden

VDI: Was kann jetzt noch getan werden oder besser gesagt - Was muss die Politik, was müssen wir als Bevölkerung erreichen? 

Foken: Seit den 1960er Jahren hat die Wissenschaft einen Temperaturanstieg festgestellt. In den 1980er Jahren wurde klar, dass dieser durch Treibhausgasemissionen durch die Menschen selbst verursacht wurde, vorhergesagt bereits vor 125 Jahren. 1990 wurde der erste wissenschaftliche Bericht (inzwischen bereits fünf) des Weltklimarates vorgelegt, der 1997 zum Kyoto-Abkommen führte. Ungeachtet dessen haben sich die jährlichen Treibhausgasemissionen seit 1990 fast verdoppelt und nur die wenigen Staaten, die dem Kyoto-Abkommen beigetreten sind, haben ihre Emissionen etwas senken können.

Bei Covid-19 wurde viel über einen exponentiellen Anstieg der Fälle gesprochen und man hat an einem kritischen Punkt einen Lockdown durchgeführt. Dieser logarithmische Anstieg der Erdtemperaturen war wohl etwa in den 1990er Jahren erreicht, als noch die Chance bestand, das Überschreiten vieler Kipppunkte und damit irreversible Veränderungen zu vermeiden. Während ein Nichthandeln bei Covid-19 zu einem Kollaps des Gesundheitssystems binnen weniger Wochen geführt hätte, ist die Legislaturperiode von Politikern noch deutlich kürzer als die Zeit bis zum kompletten Kollaps des Klimasystems. Die Wissenschaft hat immer wieder gewarnt und Maßnahmen eingefordert und Lösungswege aufgezeigt. Der letzte Bericht des Weltklimarates hatte dringend einen Rückgang der Emissionen ab 2015 gefordert, also dem Jahr des Pariser Klimaabkommens. Wenig ist seitdem geschehen und das 1,5-Grad-Ziel ist inzwischen absolut unrealistisch. Das Klimagesetz würde zwar ein 2-Grad-Ziel noch ermöglichen, aber nur, wenn die jetzt Jugendlichen ab 2030 drastische Einschneidungen in Kauf nehmen würden.

Es besteht die Hoffnung, dass FridaysForFuture den Druck auf die Politik erzeugen kann, den die Wissenschaft in den letzten 40 Jahren nicht geschafft hat. Wie die Politik im Moment versucht, ihr Handeln bei Covid-19 der Bevölkerung verständlich zu machen, so muss sie es auch bezüglich des Klimaschutzes tun, denn hier werden Maßnahmen auch weh tun. Ziel muss es sein, Emissionen zuerst dort zu senken, wo man relativ schnell Ergebnisse erreicht, wie beim Ausbau erneuerbarer Energien, einem veränderten Mobilitätskonzept und Emissionssenkungen in der Landwirtschaft. Gebäudesanierungen oder Veränderungen in der Industrie müssen eher innerhalb eines längeren Zeitraumes bewältigt werden. 

Deiche an den Küsten müssen erhöht werden

VDI: Können Sie grob skizzieren, was passiert, wenn die Arktis sich weiter erwärmt?

Foken: Am deutlichsten sieht man die Erwärmung der Arktis durch den Rückgang der Eisbedeckung. Dies hat aber nicht zur Folge, dass der Meeresspiegel steigt. Die Ursache des Meeresspiegelanstieges von inzwischen mehr als 20 cm liegt vor allem in der thermischen Ausdehnung des Meerwassers und dem Abschmelzen der Gletscher. Eine große Gefahr besteht, wenn die grönländischen und die antarktischen Gletscher abschmelzen. Schon jetzt wird in Deutschland viel getan, um die Deiche an unseren Küsten zu erhöhen. 

Eine schon jetzt relevante Folge ist die erhöhte Wassertemperatur, da bei Eisbedeckung 90 - 95% der Energie von der Sonne reflektiert werden, Wasserflächen absorbieren dagegen 90 - 95% der Energie. Mit der Erwärmung des nördlichen Atlantiks nimmt auch die Aufnahme von Kohlendioxid durch die Meere ab, denn bislang konnten Meere noch ca. ein Fünftel unserer Kohlendioxid-Emissionen abpuffern.  Es werden aber auch Luftmassen, die Ihren Weg über den Nordatlantik zu uns nehmen, immer wärmer, so dass die eingangs schon gezeigte Schneesicherheit weiter abnimmt. Dies sind nur wenige Beispiele der ausgesprochen komplexen Wirkung der Arktis auf unser Klima.

Das Interview führten Sarah Janczura und Peter Sieben, ingenieur.de

Über Thomas Foken
Prof. Dr. Thomas Foken leitete von 1997 bis 2014 die Abteilung Mikrometeorologie an der Universität Bayreuth. Für den in Leipzig promovierten Meteorologen (zweiter Doktorgrad, Habilitation, in Berlin) war die Grenzschicht zwischen der Atmosphäre und Landoberflächen das zentrale Forschungsthema, ab 1997 an der Universität Bayreuth mit starkem ökologischen Bezug. Foken ist Mitautor zahlreicher VDI-Richtlinien und Studien im Bereich der Mikrometeorologie. 


Fachlicher Ansprechpartner:
Christian Borm, M. Sc.
Koordinator Fokusthema 1,5 Grad
E-Mail: borm@vdi.de

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