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Trends in der Robotik

„Wir brauchen deutsche Global Player auf dem Gebiet der intelligenten Robotik“

Bild: PaO_STUDIO/Shutterstock.com

Die Anzahl von Robotern im Industrieeinsatz hat sich in den letzten zehn Jahren vervierfacht: Der Preis ist um rund ein Drittel gefallen, und vermehrt kommen kleine, kollaborative Roboter zum Einsatz. Doch nicht nur hier sieht man einen enormen Wandel, sondern auch im Bereich der Unterstützung des Menschen im Alltag hat sich in den letzten Jahren viel getan. Ein Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin von der Munich School of Robotics and Machine Intelligence.

Herr Professor Haddadin, welche Trends in der Robotik halten Sie derzeit für die Wichtigsten?

Haddadin: Kollaborative Roboter, die es Mensch und Roboter erlauben sich im selben Arbeitsraum aufzuhalten, haben die Interaktionsmöglichkeiten zwischen Mensch und Maschine revolutioniert. Der nächste Schritt auf dem Weg zum intelligenten Allzweckwerkzeug sind die taktilen Roboter. Sie erlauben nicht nur die Kollaboration, sondern können Prozesse durchführen, die bisher als nicht automatisierbar gelten, vor allem bei Montage, Inspektion und Testen. Sie kombinieren Kraft und Präzision mit Feinfühligkeit und sind daher in der Lage, eigenständig in ihrer Umgebung zu agieren, da sie sie diese auch wahrnehmen können. Auch sind sie deshalb besonders sicher, weil sie buchstäblich “Fingerspitzengefühl” haben, was auch ihre Einsatzmöglichkeiten vergrößert.

Neu ist zudem eine besonders einfache Steuerung dieser Roboter über Apps, um eine noch intuitivere Bedienung zu ermöglichen. Auch am selbstständigen Lernen neuer Fertigkeiten der intelligent vernetzten Roboter wird derzeit mit Hochdruck gearbeitet. 

Intelligente Roboter für die Pflege?


Mit das größte Anwendungspotenzial sehe ich in der Produktion und Logistik. Nicht zuletzt haben wir in der Corona-Zeit ja sehr deutlich gesehen, wie wichtig es ist, diese wieder lokal und unabhängig zu ermöglichen. Taktile Roboter sind unsere Chance für eine kosteneffiziente und lokale Versorgung. Hier erhoffe ich mir große Fortschritte in den nächsten Jahren, da es sich um eine Technologie handelt, die tatsächliche gesellschaftliche Bedarfe abbildet. Das gilt auch für den überlasteten Gesundheits- und Pflegebereich. Intelligente Roboter werden künftig in der häuslichen wie auch der stationären Versorgung eine zentrale Unterstützung für das medizinische und pflegerische Personal sein, auch in infektiösen oder gefährlichen Umgebungen. 

Die Medikamenten- und Impfstoffherstellung in autonomen intelligenten Laboren oder die robotergestützte Diagnose und Rehabilitation sind hier ebenso als richtungsweisend zu nennen. Eine wichtige Kerntechnologie ist hierbei auch die Telepräsenz, also das Steuern von Robotern aus der Ferne als Avatar.

Wie sieht die Forschungslandschaft in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern in diesen Bereichen aus?

Haddadin: Das ist natürlich nicht so pauschal zu beantworten, Deutschland hat zum Beispiel gerade in der Roboterforschung einen ausgezeichneten Ruf und ist als Studien- und Forschungsstandort im internationalen Vergleich attraktiv. Neben der Breitenförderung fehlen aber auch Initiativen mit kritischer Masse in der Spitze. Generell wird allerdings nach wie vor unterschätzt, wie sehr künstliche Intelligenz – und in diesem Kontext natürlich auch vor allem intelligente Roboter – unseren Alltag bereits jetzt verändern und in Zukunft noch deutlicher verändern werden, auch und vor allem jenseits der Fabriken und Manufakturen. 

Gerade China und die USA haben das besser erkannt, die Forschung dort ist agiler und hat viel mehr Durchschlagskraft, vor allem wenn es darum geht, einen schnellen Transfer in die Anwendung zu ermöglichen. Deutsche Forschende haben hier nicht nur mit finanziellen, sondern zunehmend auch bürokratischen Hindernissen zu kämpfen, beispielsweise wenn es um Kooperationen oder Testmöglichkeiten geht. Mit großen Hürden haben in Deutschland auch Unternehmen zu kämpfen, die an neuen Schlüsseltechnologien arbeiten, statt nur bisherige zu verwerten. Das trifft ganz besonders Start-ups, die global gesehen im Ausland bessere Bedingungen vorfinden, vor allem im Bezug auf Skalierung.

Technologietransfer muss gefördert werden

Von den 10 größten Robotikherstellern der Industrierobotik sehen wir sechs Unternehmen aus Japan, zwei aus der Schweiz und je eins aus China und den USA. Wie sehen Sie die Chancen in den oben genannten Bereichen, dass Deutschland nicht nur in der Forschung, sondern auch mit Innovationen punkten kann?

Haddadin: Sie sprechen hier natürlich eine zentrale Schwachstelle an, die auch an die vorherige Frage anknüpft. Deutschland ist sehr stark in der Entwicklung, man muss dazu nur einen Blick auf die Postergalerie des deutschen Marken- und Patentamtes werfen, verliert aber im internationalen Wettbewerb, wenn es darum geht, Technologien in die Anwendung zu bringen und tatsächlich daran zu verdienen. Firmen, die nicht nur auf bestehende Technologie setzen, finden in Deutschland keine optimalen Bedingungen vor. Das gilt umso mehr für Gründerinnen und Gründer, die sich deshalb verständlicherweise ins Ausland orientieren. Deutschland steuert hier parziell gegen, als schlagkräftiges Beispiel ist die Hightech Agenda Bayern zu nennen, die dezidiert auch den Technologietransfer fördert, allerdings immer noch zu zögerlich. 

Innovationsschmieden mit enormen Potenzial existieren zwar, aber wie man vor nicht allzu langer Zeit an Kuka oder auch an einigen jüngeren Unternehmen mit Börsengängen im Ausland gesehen hat, kann Deutschland diese nicht oder nur schwer im Land behalten. Darauf zu vertrauen, dass die Dinge sich von selbst entwickeln und langsam organisch wachsen, reicht nicht aus. Skalierung ist deshalb ein wichtiger nächster Schritt und sollte weitaus mehr Unterstützung erhalten.

Ist die Akzeptanz von Robotern im direkten Einsatz mit dem Menschen in der Bevölkerung in Deutschland eher ein Hemmnis oder ein Beschleuniger?

Haddadin: Ich würde sagen im Moment noch beides. Gerade im Pflegebereich erfährt der Einsatz von KI zum Beispiel immer größere Befürwortung, wie auch eine aktuelle bitkom-Studie zeigt . Andererseits gibt es nach wie vor große Bedenken beim Datenschutz sowie auch immer wieder das Vorurteil, Roboter würden den Menschen ersetzen. 

Intelligente Roboter sind längst Teil des Alltags


Auch Berührungsängste mit der Technologie spielen hier eine große Rolle, was fast kontraintuitiv erscheint, gehört die Technologie doch längst zu unserem Alltag. Wir sind uns nur nicht bewusst, wie vertraut wir mit künstlicher Intelligenz und intelligenten Robotern bereits jetzt sind. Fahrzeuge mit intelligenten Assistenzsystemen bis hin zum Autonomen Fahrzeug sind ja nichts Anderes als Roboterautos, Staubsauger- und Rasenmäherroboter sind längst Teil unseres Alltags und das Liefern von im Internet bestellten Waren ist nur durch die roboterbasierten Logistikketten möglich. 

Ein weiteres Hemmnis ist auch, dass die Technologie in kleinen und mittelständischen Unternehmen noch zu wenig bekannt ist. Vor allem sind die mit diesen Schlüsseltechnologien verbundenen Möglichkeiten noch zu wenig kommuniziert und die Unternehmen können daher auch nicht wissen, wie sehr sie vom Einsatz intelligenter Roboter profitieren können. Gerade KMU brauchen kosteneffiziente Lösungen mit niedrigem Investitionsbudget bei gleichzeitig hoher Flexibilität. Ein wichtiger Kommunikationskanal sind dabei sicherlich die Branchenverbände, um mit geeigneten Aktionen vor allem auch deutsche Technologien zu stärken und wieder zum Exportschlager zu machen.

Können Roboter in absehbarer Zeit das selbstständige Leben im Alter oder mit Behinderungen tatsächlich verbessern?

Haddadin: Daran arbeiten wir beispielsweise in unserem Geriatronik-Forschungszentrum in Garmisch-Partenkirchen. Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Assistenzrobotern bieten hier großes Potenzial. Sie helfen beim Aufstehen, erinnern an Medikamente oder daran, regelmäßig zu trinken. Außerdem können sie mittels Telepräsenz eine direkte Schnittstelle zu Medizin, Pflege oder Physiotherapie sein. Das Start-up Reactive Robotics zum Beispiel bietet bereits intelligente Reha-Betten an. 

Generell passiert – nicht nur bei uns – im Bereich der Telemedizin im Moment sehr viel. Auch die Forschung im Bereich Prothetik ist enorm vielversprechend. Mithilfe von Robotik und KI werden Prothesen aufgrund neuer und besserer Materialien immer flexibler anpassbar und ermöglichen höhere Beweglichkeit und einfachere Steuerung zum Beispiel mit Hilfe von Sensoren. Zentral ist, dass wir diese Ideen schnell in klinischen Studien umsetzen, da sie auch die Pandemiesituation für vulnerable Personengruppen extrem verbessern können.

Was müsste dazu geschehen?

Haddadin: Bei unserer Forschung muss sowohl die reine Grundlagenforschung wie auch zunehmend die missionsbasierte Grundlagenforschung mit Translation – ich spreche bewusst von Translation, nicht von Transfer – weiter gestärkt werden. Die mittlerweile als total überholt geltende Unterscheidung von Grundlagen und Anwendungsforschung mit anschließendem Technologietransfer muss endlich in missionsbasierte Grundlagenforschung und Translation überführt werden. 

Robotik und KI ins Bildungssystem integrieren


Wir forschen in enger Zusammenarbeit nicht nur mit älteren Menschen oder PatientInnen, sondern auch mit dem Pflegepersonal an den Grundlagen mitsamt Translation. Robotik und KI begleiten uns ja bereits jetzt und sollten deshalb auch in unser Bildungssystem integriert werden, das muss mitgedacht werden. Die klassischen Ausbildungen in Medizin und Pflege sind beispielsweise noch viel zu wenig auf diese immer stärkeren Veränderungen eingestellt. 

Generell muss es auch für Forschende einfacher werden, Systemimplementierung und künftige Rahmenbedingungen mitzudenken. Entscheidend dafür ist, dass wir für die Forschung und Entwicklung mehr und bessere Möglichkeiten schaffen, schnell und unkompliziert Dinge ausprobieren zu können. Nur so können Potenziale und Nutzen einer Technologie gezeigt und mögliche Komplikationen frühzeitig erörtert werden. Das kostet Geld und Zeit, lohnt sich aber langfristig und erlaubt die Wertschöpfung in unserem Land.

Und wenn diese helfenden Roboter im Schwarm lernen können – wie weit würde diese Selbstoptimierung gehen können?

Haddadin: Roboter können natürlich nur das lernen, was ihnen ihr sensomotorischer Körper, also ihre Mechatronik, grundsätzlich erlaubt physisch umzusetzen. Idealerweise lernen sie kollektiv, in einem Schwarm ist ja nur das Gesamtverhalten intelligent und der Einzelne eben nicht. Im Kollektiv lernen die Roboter voneinander. Der einzelne Roboter ist so Teil eines „Wissenskollektivs”, was die Lerngeschwindigkeit enorm beschleunigen kann. Was ein Roboter eigenständig und intelligent an Fähigkeiten erwirbt, lernen auch die anderen. Optimalerweise agieren die Systeme dann langfristig tatsächlich autonom. Sie lernen aus ihren Fehlern und können diese auch korrigieren. 

Ein Roboter im Einsatz muss robust sein und darf für die Menschen in seiner Umgebung nicht zur Gefahr werden, das heißt, er muss Fehler selbst erkennen, sich gegebenenfalls ausschalten oder besser noch, rechtzeitig seinen eigenen Wartungstermin vereinbaren. 

Sollte es für KI eher mehr Regulatorik geben, um die KI in Schranken zu halten oder mehr Freiheiten, um wichtige Innovationen vorantreiben zu können?

Haddadin: Ich würde nicht zu sehr auf Regulatorik setzen. Gerade auf dem Gebiet der KI gibt es hier sehr viele wichtige und gute Bestrebungen, die sich aber häufig als nicht zielführend erweisen, da sie praxisfern und teilweise auch innovationsfeindlich sind. Vielmehr braucht es mehr Freiheiten und Ausnahmegenehmigungen, um Technologie wirklich im Sinne unserer Gesellschaft vorantreiben zu können und auf diesem Gebiet auch international einen Vorsprung zu haben. Dass das durch Regulatorik gelingt, habe ich so noch nicht erlebt.

„Robonatives“ gesucht

Selbstverständlich brauchen wir Normen und Standards mit denen Entwickler auch wirklich formal nachweisen können, dass sie ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen sind. Dafür braucht es jedoch zuerst eine innovative Technologie beziehungsweise ein Produkt, an dem dann Qualitäts- und Sicherheitsstandards erarbeitet werden können und nicht die Vorabstandardisierung einer noch nicht einmal entwickelten Zukunft. 

Abschließend möchte ich Sie nach einem Wunsch fragen: Wenn Sie sich für die Robotik in Deutschland etwas wünschen dürften, was wäre das?

Haddadin: Wir brauchen einen oder noch besser, mehrere echte deutsche Global Player auf dem Gebiet der intelligenten Robotik, die nachhaltig und international Standards setzen. Vielversprechende Initiativen und Ideen wandern viel zu oft ins Ausland ab und vollziehen ihre spektakulären Börsengänge in China oder in den USA. Dazu braucht es mehr Freiheiten und Durchschlagskraft in der Technologietranslation und -finanzierung. 

Außerdem eine nachhaltige und wirklich breite Initiative, die unseren Nachwuchs zu echten Robonatives ausbildet, die von dieser Zukunftstechnologie nicht nur profitieren, sondern sie vor allem auch weiterentwickeln und -gestalten können. Schlussendlich sind natürlich konzentrierte und kraftvolle Forschungsinvestitionen nötig, die es uns erlauben, auch morgen noch an der Spitze von Forschung und Technologieentwicklung mitzuspielen. 

Das Interview führte Dr. Dagmar Dirzus.

Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin
Munich School of Robotics and Machine Intelligence (MSRM), Lehrstuhl für Robotik und Systemintelligenz, Technische Universität München TUM

Ansprechpartnerin im VDI
Dr.-Ing. Dagmar Dirzus
VDI-Topthema Digitale Transformation
E-Mail-Adresse: dirzus@vdi.de

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