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Gesundheit und Ressourceneffizienz

Medizintechnik - Vom Wegwerfprodukt zur Kreislaufwirtschaft

Bild: Sturti via Getty Images

Deutschland hat eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Gleichzeitig hat der Gesundheitssektor den viertgrößten Ressourcenverbrauch. Deutsche Klinken produzieren jährlich rund 100.000 Tonnen medizinischen Müll. Davon wird der größte Teil verbrannt, obwohl das nur bei einem sehr geringen Prozentsatz, der hochinfektiös ist, nötig wäre. Dazu kommt der hohe Energie- und in einigen Bereichen hohe Wasserverbrauch. Zeit für ein Umdenken.

Warum das notwendig ist, weiß Benno Herrmann vom VDI Technologiezentrum in Berlin. Im Interview spricht er mit uns über die Potenziale und Chancen einer nachhaltigen Entwicklung in unserem Gesundheitssystem und über neue Ideen für mehr Ressourcenschonung.

VDI: Warum ist Ressourceneffizienz so ein großes Thema im Gesundheitswesen?

Herrmann: Unser Gesundheitswesen hat einen enorm hohen Ressourcenverbrauch und ist einer der größten Abfallproduzenten. Das zieht sich durch alle Bereiche: von der medizinischen Versorgung der Patientinnen und Patienten, über den Betrieb medizinischer Einrichtungen bis zur Herstellung von Medizinprodukten. Neben der Nachhaltigkeit spielen dabei auch die Kosten eine entscheidende Rolle. Schließlich steigt der Kostendruck im Gesundheitssektor seit Jahren.


Hygiene versus Aufbereitung

VDI: Welche Auswirkungen hat das auf den Klinikbetrieb?

Herrmann: Beispielsweise versuchen Kliniken den Gebäudebetrieb effizienter zu gestalten und das nicht erst seit gestiegener Energiekosten. Ob während einer Modernisierung oder der Planung einer neuen Klinik der Anspruch ist, die Gebäude möglichst effizient und energiesparend zu gestalten und zu betreiben.

Gleiches gilt auch in der täglichen Versorgung der Patientinnen und Patienten. Dort gibt es sehr viele Einmalartikel, wie Spritzen oder Kanülen, was aus Hygienesicht zum Teil sinnvoll ist. Jedoch gibt es neben den Verbrauchsmaterialien viele Klein- und auch Großgeräte, die weiter- oder wiederverwendet werden könnten, aber trotzdem auf dem Müll landen und verbrannt werden. Denn die Wiederaufbereitung wäre zu aufwändig und teuer.

In diesem Zusammenhang werden die Forderungen lauter, bei den Geräten schon in der Planung die Entsorgung mitzudenken und sie so zu gestalten, dass sie wiederverwertet und in ihre Einzelteile zerlegt werden können. Gleiches gilt für die verwendeten Materialien selbst, die getrennt wieder als Ressource genutzt werden können. Aber das alles setzt ein Umdenken in der gesamten Branche voraus.

Wir müssen mehr an Umwelt und Ressourceneffizienz denken: Von der Planung eines Krankenhauses, über Planung und Bereitstellung eines Medizinprodukts bis hin zum Alltagsbetrieb.

VDI: Gibt es konkrete Beispiele für Einsparpotenziale im Klinikbetrieb?

Herrmann: Neben den Verbrauchsmaterialien sprechen wir über hochwertige und hochkomplexe Medizinprodukte, die oftmals nach einer Benutzung weggeschmissen werden, beispielsweise ein Bronchoskop. Diese Produkte sind so aufgebaut, dass eine Reinigung oder Aufarbeitung sehr schwierig ist, vor allem wegen der strengen gesetzlichen Vorgaben. Da ist es für die Kliniken einfacher, die Dinge zu entsorgen und neue zu benutzen.

Um das zu ändern, müsste man die gesamten Prozesse im Krankenhaus neu denken und auch schon in der Entwicklung der Geräte eine Wiederverwertung einplanen.

Statt Nutzung und Entsorgung könnte der neue Workflow anders aussehen. Auf der Station wird das Gerät beispielsweise bei einem Patienten eingesetzt, der vielleicht eine infektiöse Krankheit hat. Danach muss das Gerät nach einer kurzen Wischdesinfektion irgendwo gelagert werden, bis es zur Wiederaufbereitung abgeholt wird.

Hier haben es große Klinikverbände oft leichter als das Kleinstadtkrankenhaus, das vielleicht keine relevante Menge an Material produziert. Das kleine Haus findet dann gegebenenfalls niemanden, der das Recycling übernimmt. Hier müssen Hersteller, Dienstleister und Kliniken zusammengebracht werden und es muss neue Kooperationen geben. Da ist die Politik gefragt! Sie muss Anreize schaffen, damit es sich lohnt zirkulär zu denken. Denn gerade zu Beginn kosten neue Prozesse Geld und Zeit.

Spannungsfeld Gesundheits- und Umweltschutz

VDI: Wo liegt das Problem?

Herrmann: In der Medizintechnik stehen wir vor speziellen Schwierigkeiten. Solange Sie Hersteller sind oder nur Originalherstellerteile nutzen, ist alles in Ordnung. Sobald Sie aber irgendetwas verändern, sei es auch nur ein Teil, haben Sie ein neues Medizinprodukt, das Sie neu zulassen müssen. Da braucht es dringend den politischen Willen und neue Gesetze, um Kreislaufwirtschaft überhaupt zu ermöglichen.

Es wäre bereits ein Fortschritt, wenn die Produkte überhaupt wieder aufbereitet oder Einzelteile recyclet würden. Sei es für andere Anwendungen oder für Drittländer. Aber stattdessen werden wertvolle Ressourcen häufig verbrannt. Aber hier ist der Gesundheitssektor gefangen im gesetzlichen Spannungsfeld von Gesundheits- und Umweltschutz. Wir wollen mehr Ressourcen schonen und Kreislaufwirtschaft fördern, aber die Rahmenbedingungen sind häufig nicht oder nicht ausreichend gegeben.

Daher muss die Industrie mit ins Boot, damit die Voraussetzungen geschaffen werden, Medizinprodukte so zu bauen, dass man Teile zerlegen und ersetzen kann, zum Beispiel in Elektronik und Gehäuse. 

Beim Beispiel Bronchoskop sind in der Regel die verbauten Optiken und die Kanäle für die Instrumente alle noch in Ordnung. Es muss also gereinigt werden. Idealerweise könnte man nun einfach die Hülle tauschen. All dies sind Ansatzpunkte, die weiterverfolgt werden müssen und zum Teil schon werden.

Zudem werden in vielen dieser Produkte Elektronik und damit auch seltene Erden verbaut, diese sollten in den Kreislauf zurückgeführt werden. Allerdings sind die Teile oft fest verbaut. Darum wäre es wünschenswert, dass man die Produkte wieder gut trennen und in den Kreislauf einbringen kann.

VDI: Also müssen wir einfach früher ansetzen?

Herrmann: Ja, ich glaube schon. Denn neben den Großgeräten haben wir auch im Kleinen eine Menge Müll und der hat in den letzten Jahren noch zugenommen. Da gibt es auch Einzelpackungen für Patienten, die aus Hygienesicht vollkommen unnötig sind, wie einzeln abgepacktes Ultraschallgel. Diese Entwicklungen der letzten Jahre müssen wir zurückdrehen. 

Nachhaltigkeit kostet

VDI: Wie steht es da um die Bereitschaft in den Kliniken?

Herrmann: Im Moment ändert sich der Markt, weil auch die Krankenhäuser oder deren Einkauf zunehmend Nachhaltigkeitskriterien erfüllen wollen. Alle schauen darauf, wie ist mein ökologischer Fußabdruck.

Denn auch das Krankenhaus hat die Aufgabe dort einzusparen und fragt nach der Nachhaltigkeit der gekauften Produkte. Das Problem dabei ist, dass keine einheitliche Standards gelten. Oft muss man sich auf die Aussagen des Herstellers verlassen und das, ohne eine wirkliche Vergleichbarkeit zu haben. Es bräuchte feste Kriterien, ähnlich den Energieangaben bei Haushaltsgeräten. Sowas fehlt leider für Medizinprodukte.

VDI: Gibt es denn erste gute Ideen?

Herrmann: Natürlich gibt es erste Initiativen. Viele dieser Ansätze sind stark wirtschaftlich getrieben. Bestimmte Materialien sind sehr teuer und so setzt man bereits jetzt schon von Herstellerseite auf Recycling. Dadurch kann man enorme Ressourcen und damit auch Kosten einsparen.

Zudem wird daran geforscht neue Technologien einzusetzen, um etwa dem individuellen Kundenbedarf zielgerichtet zu entsprechen und so von Anfang an weniger Ressourcen einsetzen zu müssen. Zum Beispiel durch für den Patienten angepasste Modelle aus dem 3-D-Druck. Da gibt es eine Firma, die die überflüssigen Kunststoffpartikel direkt wieder verwendet, so wird der Materialverbrauch optimiert. Auch so kann man teure Ressourcen einsparen.

Es gibt in vielen Prozessen großes Optimierungspotenzial: Wasser- und Energieverbrauch, Arzneimittel oder andere Medizinprodukte. Zunehmend spielen auch Materialien mit einer besseren Bioverträglichkeit oder ökologische Materialien eine Rolle. Hier sprechen jedoch oft die Kosten dagegen. Zwar reden wir immer über Nachhaltigkeit als wichtiges Kriterium, aber wir kennen das ja auch aus dem normalen Leben. Nicht immer ist man bereit, dann auch einen höheren Preis dafür zu bezahlen.

Das Interview führte Gudrun Huneke.

Zur Person:

Benno Herrmann, Jahrgang 1966, lebt mit seiner Familie im Süden Berlins. Seit über dreißig Jahren ist er im Gesundheitswesen tätig. Nach dem Studium der Elektrotechnik mit Schwerpunkt Biomedizinische Gerätetechnik an der TU Dresden, war er Geschäftsführer verschiedener Unternehmen, alle mit dem Schwerpunkt Produkte für das Gesundheitswesen. Mit der heutigen Arbeit als Fachberater Digitalisierung und Senior Expert Gesundheit im Geschäftsbereich Gesundheit, Nachhaltigkeit und Energie bei einem der größten Projektträger Deutschlands, dem VDI Technologiezentrum, setzt er Impulse für die nachhaltige Entwicklung von Medizinprodukten.

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