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Interview

„Landtechnik ist sinnstiftend“

Bild: SimonSkafar via Getty Images

Die Landwirtschaft steht vor einem tiefgreifenden Wandel: Immer größere Betriebe, ein erhöhter Einsatz von Künstlicher Intelligenz und die Notwendigkeit, auf den Klimawandel zu reagieren, stellen die Landtechnik vor neue Herausforderungen. Prof. Dr.-Ing. Henning J. Meyer, Fachgebietsleiter für Konstruktion von Maschinensystemen an der TU Berlin, gibt Einblicke in die aktuellen Entwicklungen und erklärt, wie Innovationen wie Precision Farming und Agri-Photovoltaik die Zukunft der Landwirtschaft gestalten werden.

Herr Professor Meyer, was sind Ihrer Ansicht nach aktuell die wichtigsten Trends, die die Landtechnik prägen?

Prof. Henning Meyer: Es gibt verschiedene Entwicklungen. Eine ist sicher, dass die Betriebe immer größer werden und sich damit die Strukturen ändern. Das bedeutet, dass in der gleichen Zeit mit weniger Personal mehr Fläche bearbeitet werden muss. Statistiken zeigen ja, wie sich die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe verändert hat. Es gibt weiterhin immer öfter die Forderung, mit Precision Farming die Effizienz und Präzision bei verschiedenen Aspekten der landwirtschaftlichen Produktion so zu verbessern, dass der bestmögliche Ertrag erzielt wird.

Bedeuten größere Flächen automatisch größere Maschinen?

Meyer: Das ist keine zwingende Voraussetzung, bleibt aber nicht aus. Hatten die Mähdrescher vor 20 Jahren ein drei Meter breites Schneidwerk, gibt es heute Maschinen mit mehr als zwölf Metern Breite. Das bringt wieder neue Probleme mit sich, die die Landtechnikerinnen und Landtechniker lösen müssen. Beispielsweise müssen die Schneidwerke flexibler sein. Es besteht sonst die Gefahr, dass bei den Maßen das Schneidwerk auf der einen Seite aufliegt und auf der anderen das Getreide zu hoch schneidet.

Assistenzsysteme sind bei den genannten Größen obligatorisch. Als Mensch, der eine solche Maschine fährt, ist es schwer, den Überblick zu behalten. Dank Kameras können Landwirtin oder Landwirt beispielsweise sehen, was um den Mähdrescher herum passiert. Viele Maschinen verfügen auch über weitere Assistenzsysteme. Diese melden zum Beispiel, ob ein Hindernis im Weg ist und ob die Maschine richtig eingestellt ist. In der Zukunft sollen sie zudem die Qualität des Getreides erkennen.

Wofür ist das wichtig?

Meyer: In der modernen Landwirtschaft gibt es die Philosophie, die einzelne Pflanze zu pflegen. War früher eine Pflanze mit einem Schädling befallen, wurde oft das ganze Feld mitbehandelt. Wenn Sensoren einzelne Gewächse und den Zustand von Pflanzen erkennen können, können die Mittel gezielter mit der entsprechenden Technik eingesetzt werden. Mit weniger Ressourcen lässt sich so wieder mehr rausholen und gleichzeitig werden die Umweltbelastungen reduziert.

Inwieweit ist Künstliche Intelligenz dabei ein Thema?

Meyer: Künstliche Intelligenz (KI) ist in der Landtechnik auf dem Vormarsch. Ich spreche aber grundsätzlich lieber von der Digitalisierung. KI ist nur ein Bereich davon. Letztlich muss der Mensch den Umgang damit lernen. Künstliche Intelligenz kann der Landwirtin oder dem Landwirt helfen. Sie kann etwa bei der Auswertung unterstützen, welche Maßnahmen erfolgreich waren und wo man für Verbesserungen ansetzen muss. In der Landtechnik ist KI interessant, um Dinge zu automatisieren und mit Algorithmen Daten zu analysieren. Denn automatisieren kann man vieles, aber erst die Daten zeigen, ob sich das lohnt.

Ein Beispiel: Beim Melken, einer sehr zeitintensiven manuellen Arbeit, hilft die Automatisierung mittels Melkrobotern sicherlich – auch ökonomisch. Bei der Spargelernte, die manuell ähnlich aufwändig ist, gilt das jedoch nicht zwangsläufig. Aktuell ist die händische Ernte noch ökonomischer. Aber das wird sich sicher verändern. Feld-, Jät- oder Ernteroboter, an die jetzt noch keiner denkt, werden eines Tages kommen. Das zeigt ein Blick in die Forschungslabore. Solche Maschinen werden auch für den Garten- und Obstbau interessant, bei denen die manuelle Arbeit zurzeit noch ökonomischer ist.

Im Hinblick auf den Klimawandel sind erneuerbare Energien in der Landwirtschaft ein Thema. Ein Beispiel ist die Agri-Photovoltaik, die unter anderem die Konkurrenz um Flächen beenden soll – also darum, ob Flächen landwirtschaftlich genutzt werden oder für die Energiegewinnung. Was ist davon zu halten?

Meyer: Ich habe kürzlich die Abschlussarbeit eines Studierenden zu diesem Thema betreut. Es ging kurz gesagt darum, auf einer Obstplantage durch Berechnung der Beschattung und mit Hilfe von Simulationen die Solarmodule so zu platzieren, dass ein größtmöglicher Ertrag an Äpfeln und Energie erzielt wird. Meines Erachtens hat die Agri-Photovoltaik großes Potenzial. Damit lässt sich ökologisch und ökonomisch viel erreichen.

Leider ist es aktuell oft so, dass sie nicht so genutzt wird, wie sie verwendet werden könnte. Viele Flächen werden mit Solarmodulen voll gepflastert. Die landwirtschaftliche Nutzung besteht dann darin, dass ein paar Schafe das Gras zwischen den Modulen kurz halten. Das ist sicher nicht der Sinn der Sache und die beste ökologische Lösung. Diesbezüglich müsste mit entsprechenden Regelungen nachgearbeitet werden, um solche „Fehlnutzungen“ zu verhindern.

Landwirtschaftliche Betriebe sind in hohem Maße abhängig vom Wetter. Das ändert sich durch den Klimawandel mehr und mehr. Inwieweit kann die Landtechnik dabei eingreifen?

Meyer: Es gibt verschiedene Ansatzpunkte. Zum einen kann man Pflanzen verwenden, die mit den Gegebenheiten klarkommen, etwa Wintergerste anstelle von Sommergerste. Zum anderen kann man mit anderen Anbauverfahren dem Klimawandel Rechnung tragen. Der nächste Ansatz ist die Bewässerung. In diesem Punkt kann die Landtechnik sicher gute Lösungen liefern. Denn der Konflikt, ob man Wasser zur Bewässerung oder als Trinkwasser einsetzt, kommt hinzu.

Die Ressource Wasser muss mit Bedacht genutzt werden. Mittels KI ließen sich beispielsweise über Wetterprognosen sehr genaue Bewässerungsstrategien errechnen, die effiziente Bewässerungstechnologien nutzen. Die technischen Möglichkeiten sind vielfältig. Auch über Staubecken, in denen zu Starkregenzeiten Wasser gesammelt wird, denkt man nach.

Wie würden Sie den aktuellen Stand der hiesigen Landtechnik einschätzen? Ist Deutschland in diesem Sektor Vorreiter? Die deutsche Ingenieurskunst hat international einen sehr guten Ruf.

Meyer: Deutschland gilt als Standort vieler Innovationen. Die Landtechnikindustrie hat eine lange Tradition, in der es noch viele familiär geprägte Fachbetriebe gibt, die auch über längere Zeit Projekte verfolgen und Innovationen auf den Markt bringen. Die deutsche Industrie exportiert viel. Die Unternehmen sind am Weltmarkt sehr präsent. Obwohl die Landwirtschaft global gesehen sehr divers ist, gibt es aus Deutschland Lösungen für viele unterschiedliche Märkte, zum Beispiel für Asien. Wir müssen allerdings daran arbeiten, dass das so bleibt, und dürfen uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen.

Damit das so bleibt, braucht es Nachwuchs. Wie sieht es damit in der Landtechnik aus?

Meyer: Wie in allen Bereichen des Maschinenbaus, geht auch hier die Zahl der Studierenden zurück. Es gibt insgesamt weniger Menschen, die von Grund auf eine Beziehung zur Landwirtschaft haben. Aber man kann junge Leute auch für Landtechnik begeistern, wenn sie diese Beziehung nicht haben. Da müsste schon in den Schulen stärker angesetzt und Techniken vermittelt werden. Man muss den Jugendlichen sagen, dass es die spannende Landtechnik gibt. Woher sollen sie es sonst wissen?

Max-Eyth-Nachwuchsförderungspreis

Der Max-Eyth-Nachwuchsförderungspreis wird jährlich von der Max-Eyth-Gesellschaft Agrartechnik (VDI-MEG) ausgeschrieben und vergeben. Je eine Bachelor,- Master-, oder Diplomabschlussarbeiten mit agrartechnischem Bezug (Ingenieurausbildung) bzw. verfahrenstechnischen Inhalten (Landwirtschaftsausbildung) wird prämiert . Das Preisgeld von je 1.000 EUR wird von der Max-Eyth-Stiftung zur Verfügung gestellt.

Welche Herausforderungen werden die künftigen Landtechnikerinnen und Landtechniker bewältigen müssen?

Meyer: Letztendlich müssen sich die jungen Leute vermehrt auf neue Entwicklungen möglichst schnell einstellen und sich kompetent in neuen Themengebieten zurechtfinden. Auf das lebenslange Lernen müssen wir sie vorbereiten. Ein weiterer Punkt ist die Künstliche Intelligenz, die in unserem Bereich deutlich mehr IT-Kompetenz verlangt als bisher. Dieser Punkt muss und wird im Studium anders gewichtet werden.

Sie müssen zudem die Kompetenz erlangen, mit anderen Fachbereichen, entweder der Elektronik oder der IT, Probleme gemeinsam zu lösen. Sie sollten sich in anderen Fachbereichen auskennen und entsprechend kommunizieren lernen.

Die Landtechnikerinnen und Landtechniker von morgen müssen ein ganzheitliches Denken entwickeln. Ökologieorientierte beziehungsweise nachhaltige Produktentwicklung ist das Stichwort. Sie arbeiten mit der Natur und entwickeln Maschinen, die die Natur bearbeiten. Sie müssen die öklogischen und ökonomischen Konsequenzen bedenken, die diese Arbeit auf die Natur haben kann.

Die Landtechnik kann für viele aktuelle Probleme, insbesondere im Bereich des Klimawandels, Lösungen aufzeigen. Die Ingenieurinnen und Ingenieure von morgen sollten dabei eine erklärende Rolle einnehmen und den Menschen die Angst nehmen, diese Lösungen zu nutzen. Wir müssen unsere Studierenden befähigen, sich viel stärker am gesellschaftlichen Diskurs zu beteiligen. Denn die, die Ahnung haben, reden aktuell zu wenig mit. Aber wer soll die Technik erklären, wenn nicht die Expertinnen und Experten?

Wie würden Sie junge Menschen für ein Studium der Landtechnik überzeugen wollen?

Meyer: Landtechnik ist cool. Es ist einer der wenigen Bereiche, in dem man nicht nur bestehende Dinge verbessert, sondern noch Neues erfindet. Hier kann man sich noch kreativ austoben. Die Arbeit hat etwas Sinnstiftendes. Sinnstiftend deshalb, weil es die Landtechnik ist, die uns dabei hilft, unsere Ernährung zu sichern.

Am 6. und 7. November 2024 findet in Osnabrück zum 81. Mal die Tagung LAND.TECHNIK-AgEng statt. Als führende Veranstaltung der internationalen Landtechnik bietet die AgEng-LAND.TECHNIK 2024 die optimale Plattform für Networking und Diskussionen über zukünftige Entwicklungen der AgTech-Branche. 

Interview: Julia Klinkusch (ContentQualitäten)

Ansprechpartner:
Dr. Andreas Herrmann
VDI-Gesellschaft Technologies of Life Sciences
Fachbereich Max Eyth Max-Eyth-Gesellschaft Agrartechnik
E-Mail: tls@vdi.de

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